Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit

Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit

Organisatoren
Dokumentations- und Forschungsstelle "Justiz und Nationalsozialismus" an der Justizakademie des Landes NRW, Tagungsleitung: Holger Schlüter
Ort
Recklinghausen
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.11.2004 - 27.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Sofia Bremer

Die Dokumentations- und Forschungsstelle führt bereits seit dem Jahr 2000 jährlich wissenschaftliche Symposien zu verschiedenen Themen der neueren Justizgeschichte durch. Leitende Fragestellung der diesjährigen Veranstaltung vom 26. bis 27. November 2004 waren Organisation und Tätigkeit der nationalsozialistischen Sondergerichte.
Anlass für dieses Symposium war, dass in den letzten beiden Jahrzehnten zur strafrechtlichen Sondergerichtsbarkeit des Dritten Reiches zahlreiche neue lokale und regionale Studien veröffentlicht worden sind. Auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes sollten in Vorträgen und Diskussionen Erkenntnisse zu übergreifenden Gemeinsamkeiten und regionalen Besonderheiten in der Sondergerichtsbarkeit diskutiert werden. Dazu wandte sich die Veranstaltung nicht nur an den Kreis derjenigen, die auf dem Gebiet der Sondergerichtsbarkeit wissenschaftliche Studien durchführen, sondern erreichte erfreulicherweise neben Historikern und Rechtwissenschaftlern auch interessierte Teilnehmer aus der juristischen Praxis. Sowohl unter Forschern wie auch unter Praktikern stieß die Veranstaltung damit auf reges Interesse.

Die Veranstaltung wurde von Holger Schlüter eröffnet. In seinem Vortrag gab er zunächst einen kurzen Abriss zur geschichtlichen Entwicklung dieses Forschungsgebietes. Dabei wies er auf das Problem hin, den das Symposium leitenden Begriff „Sondergericht“ exakt zu definieren. Die Schwierigkeit bestehe bereits darin, die genaue Anzahl der seinerzeitigen Sondergerichte zu bestimmen. Seine einleitenden Worte schloss Schlüter mit einem knappen Überblick über den inzwischen erreichten Forschungsstand 1 und den weiteren Verlauf der Veranstaltung.

Die folgenden Vorträge, die vielfach auf den Erkenntnissen bereits durchgeführter Studien basierten, thematisierten zunächst die Entwicklung und Errichtung der Sondergerichtsbarkeit in der Vorkriegszeit. Sie zeigten Schwerpunkte der Rechtsprechung auf, um dann den Blick auf die Intensivierung und Radikalisierung der Rechtsprechung während der Kriegsjahre zu lenken. Während sich diese Ausführungen insbesondere auf die Rechtssprechungspraxis innerhalb des Reiches bezogen, wurde dieses Bild im weiteren Verlauf der Referatsreihe um die Darstellung und Analyse der Rechtsprechungspraxis im annektierten Polen ergänzt. Aber nicht nur die sondergerichtliche Tätigkeit zwischen 1933 und 1945, sondern auch der Umgang mit Sonderrichtern in der Nachkriegszeit fand als Abschluss der Vortragsreihe Beachtung. Die Konferenz war entsprechend in drei Themenbereiche gegliedert.

I. Die sondergerichtliche Tätigkeit von 1933 bis 1945

Die „Entwicklungsgeschichte der strafrechtlichen Sondergerichtsbarkeit zwischen 1918 und 1945“ thematisierte Hans Eckhard Niermann in seinem Referat. Dabei stellte er zunächst heraus, dass die Sondergerichtsbarkeit keineswegs als „Erfindung“ des Nationalsozialismus angesehen werden könne. Schon zu Weimarer Zeiten bediente sich der Staat der Sondergerichte als einem Instrument, mit dem in Krisenzeiten politische Unruhen bekämpft wurden. Das nationalsozialistische Regime habe im März 1933 die Sondergerichte reaktiviert und für seine Zwecke genutzt.

Wie aber lässt sich die zunehmende Radikalisierung der Rechtsprechung erklären? Niermann kam zu dem Schluss, dass schwerlich jeder der hauptsächlich aus dem bürgerlich-konservativen Spektrum rekrutierten Justizjuristen der damaligen Zeit als überzeugter Nationalsozialist bezeichnet werden könne. Die Mitgliedschaft in der NSDAP indiziere nicht automatisch eine völlige Übereinstimmung mit den Zielen des Regimes. Dies verdeutlichten u.a. die eher opportunistischen Gesichtspunkte für den Eintritt der so genannten ‚Märzgefallenen’, die im Frühjahr 1933 in großen Scharen in die NSDAP strebten. Obgleich schon die Weimarer Richter tendenziell härter gegen „links“ geurteilt hätten, seien die Faktoren, die schließlich eine Verschärfung der Rechtsprechung bedingten, vielfältiger Natur. Ein gewichtiger Faktor sei der wachsende Einfluss der politischen Polizei gewesen. Auf diesen Machtzuwachs habe die Richterschaft – aus Angst um einen Autoritätsverlust – oftmals mit härteren Urteilen reagiert, wobei ihr eine Gefängnisstrafe im Vergleich mit den Bedingungen in den Konzentrationslagern oft als das kleinere Übel vorgekommen sein mag. Im Anschluss daran ging Niermann auf die Entwicklung der Schwerpunkte in der Rechtsprechung von der Heimtückerechtsprechung der Vorkriegszeit bis hin zu der verschärften Sanktionspraxis in den Kriegsjahren ein. Niermann wies in diesem Zusammenhang auf die Verschärfung des materiellen Strafrechts und die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichtsbarkeit aus Angst vor einer parallelen Entwicklung wie 1918 hin. Er untergliederte die Kriegszeit in drei Radikalisierungsphasen: Die erste Phase sei dem Kriegsbeginn zuzuordnen, die zweite Phase habe mit Beginn des Russlandfeldzuges eingesetzt und sich durch eine härter werdende Sanktionspraxis ausgezeichnet; die justizkritische Reichstagsrede Hitlers vom 26.04.1942 und die als Reaktion darauf ausgeübte intensive Kontrolle der Rechtsprechung durch das Reichsministerium der Justiz habe die dritte und letzte Radikalisierungsphase ausgelöst, die dann 1943 ihren Höhepunkt gefunden habe.

Im Anschluss an diesen Vortrag erörterte Bernwald Dörner in seinem Referat das „Strafrecht zum Schutz des NS-Regimes – politisches (Vorkriegs-)Strafrecht vor den Sondergerichten“. Er berücksichtigte in seinen Ausführungen nicht nur das sondergerichtliche Verfahren als solches, sondern wies zudem auf die Bedeutung des vorangehenden mehrfachen „Filterprozesses“ bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung hin. In diesem „Verfahrensschritt“ zeige sich nämlich in aller Deutlichkeit das Zusammenspiel von Partei, Gestapo und Staatsanwaltschaft. Als normative Hauptkomplexe der Vorkriegsrechtsprechung nannte Dörner die Paragraphen 134a, 134b, 130a (Kanzelparagraph) sowie 330a (Vollrausch) und die mengenmäßig bedeutsamste Rechtsprechung unter Anwendung von Heimtückeverordnung und Heimtückegesetz. Vorrangiger Zweck dieser Strafnormen war es, das Vertrauen der Bevölkerung in die nationalsozialistische Führung zu schützen. Dörner ging in seinem Referat auch näher auf den vielfältigen Inhalt der sanktionierten Äußerungen ein. Ein erschreckendes Resultat dieser Analyse war, dass nahezu alle Verfahren aufgrund von Denunziationen eingeleitet wurden.

Das Referat von Michael P. Hensle thematisierte im Anschluss an die vorherigen Ausführungen das „Strafrecht zum Schutz der „Inneren Front“ – politisches (Kriegssonder-)Strafrecht vor den Sondergerichten“. Mit Beginn des Krieges wurde vom nationalsozialistischen Regime eine Fülle von gesetzlichen Regelungen erlassen. Leitende Zwecksetzung war insbesondere der Schutz der Wehrkraft und der Kampf gegen Kritik von innen. Dieses Kriegssonderstrafrecht, das im Laufe der Jahre zu einem reinen Verordnungsrecht wurde, zeichnete sich vor allem durch die extremen Sanktionsformen aus: Darüber sei, wie Hensle betonte, die Todesstrafe zur üblichen Sanktion geworden. Im Weiteren ging Hensle auf die Kriegssonderstrafrechtsverordnung und die Rundfunkverordnung als die für die Tätigkeit des Sondergerichts relevanten Regelungen näher ein. Hensle stützte seine Ausführungen insbesondere auf die im Rahmen seiner Forschungsarbeit zum Sondergericht Freiburg gewonnenen Ergebnisse.

Hans-Ulrich Ludewig untersuchte in seinem Vortrag die Deliktsgruppe der „Kriegswirtschaftsstraftaten vor den Sondergerichten“. Er stützte seine Ausführungen exemplarisch auf die zum Sondergericht Braunschweig gewonnenen Erkenntnisse. Die schwere Pönalisierung von Kriegswirtschaftsstraftaten sei – so Ludewig – von der Motivation getragen worden, durch einen effektiven Schutz des Bewirtschaftungssystems eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können. Dies erschien von essentieller Wichtigkeit, um – aus den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg lernend – Unruhen innerhalb der Bevölkerung vorzubeugen. Von den 6000 Braunschweiger Sondergerichtsverfahren, in denen 7000 Angeklagte abgeurteilt wurden, seien drei viertel in der Kriegszeit verhandelt worden. Um die Bedeutung besonders der Kriegswirtschaftsstraftaten zu belegen, wies der Referent darauf hin, dass 1943 der Anteil der Anklagen wegen Kriegswirtschaftsdelikten bei 40 % aller Verfahren lag. Hierbei handelte es sich vornehmlich um Schwarzschlachtungen oder Lebensmittelkartenfälschungen. Im Unterschied zu anderen Verfahrensgruppen, die typischerweise in die Zuständigkeit der Sondergerichtsbarkeit fielen, wären solche Verhaltensweisen, wenn auch mit anderem Strafmaß, auch unter rechtsstaatlichen (Kriegs-)Verhältnissen pönalisiert worden. Insofern handele es sich – so Ludewig –, im Gegensatz zu anderen vor den Sondergerichten verhandelten Deliktsgruppen und abgesehen von der Höhe der Sanktionen, bei den Kriegswirtschaftsstraftaten nicht um eine typisch nationalsozialistische Erscheinung.

Maik Wogersien widmete sich schließlich im Anschluss daran in seinem Referat dem „allgemeinen, ‚unpolitischen’ Strafrecht als Kriegsstrafrecht vor den Sondergerichten“. Wogersien beschrieb als typisch für diese Deliktsgruppe eine Kombination herkömmlicher Straftatbestände – im Regelfall des allgemeinen Strafrechts – in Verbindung mit den strafschärfenden Kriegssondernormen. Das Ziel dieser Strafschärfungen sei eine effektive Disziplinierung der Bevölkerung in Krisenzeiten gewesen. Auch sei unstrittig eine Verlagerung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Sondergerichtsbarkeit festzustellen, was sich zusätzlich durch die Tatsache belegen lasse, dass fast alle nach 1938 erlassenen Strafgesetze in die Zuständigkeit der Sondergerichte fielen. Als charakteristisch für das NS-Strafrecht im Allgemeinen beschrieb der Referent den engen, d.h. zwingenden Sanktionskatalog bei weiten, „unbegrenzt auslegbaren“ Tatbeständen. Nicht aber die Subsumtion unter diese Tatbestände, sondern die Klassifizierung des Angeklagten als ein bestimmter Tätertyp entschieden über die Härte des Urteilspruches. Die hinter dieser Entwicklung stehende Intention beschrieb Wogersien wie folgt: Primärer Zweck der faktischen „Allzuständigkeit“ der Sondergerichte sei die Publizität der Rechtssprechung mit ihren harten Sanktionen als Generalprävention gewesen. Als Maßstab für diese Sanktionen habe das gesunde Volksempfinden „als Rechtsquelle“ gedient. Parallel zu der Verschärfung der Sanktionspraxis lasse sich auch auf dem Gebiet des Vollstreckungsrechts eine deutliche Verschärfung der Vollstreckungspraxis feststellen, um einer Flucht von der Front in die Gefängnisse vorzubeugen.

II. Die Tätigkeit deutscher Sondergerichte in den „eingegliederten Ostgebieten“

Über „die Tätigkeit deutscher Sondergerichte im annektierten Polen am Beispiel des Gaues Danzig-Westpreußen“ referierte Edmund Zarzycki: Die Basis für seine Studien auf diesem Gebiet boten insbesondere die etwa 2000 überlieferten Gerichtsakten. Zarzycki wies eingangs darauf hin, dass im Gegensatz zum so genannten „Altreich“ das Ziel der Rechtsprechung in den annektierten Gebieten die kontinuierliche und zielgerichtete Entvölkerung des polnischen Volkes gewesen sei. In Paragraph 1 der Verordnung über die Einführung des deutschen Strafrechts vom 5. September 1939 wurde die Anwendung des deutschen Strafrechts in Polen angeordnet. Dies habe einen groben Verstoß gegen die Haager Konventionen vom 18. Oktober 1907 dargestellt, die eine Okkupationsverwaltung vorsah, und war somit völkerrechtswidrig. Auch die Wiederanklage schon vor Kriegsbeginn in Polen Abgeurteilter sei ein gravierender Verstoß gegen den rechtsstaatlichen „ne bis in idem“- Grundsatz gewesen.

Insbesondere im Rahmen der Aburteilung der so genannten Septemberdelikte (Straftaten, die polnische Staatsangehörige gegen (Volks-)Deutsche zu Beginn des Krieges begangen hatten) zeigte sich die im Vergleich zu Angeklagten deutscher Staatsangehörigkeit gesteigerte Härte. Auch bei Kriminalstrafen gegen deutsches Vermögen sprach Zarzycki von deutlich höheren Strafen gegenüber polnischen Staatsangehörigen. Durch die Einführung der Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941 seien – so Zarzycki – auch die noch verbliebenen rechtsstaatlichen Prinzipien ad acta gelegt und ein offenes „Sonderrecht“ für polnische Staatsangehörige geschaffen worden. Seit diesem Zeitpunkt sei für die unter diese Regelung fallenden Angeklagten die Todesstrafe als gesetzliche Regelstrafe eingeführt worden.

An diese Ausführungen von Zarzycki zur sondergerichtlichen Tätigkeit im Gau Danzig-Westpreußen schloss sich der Vortrag von Holger Schlüter über „die Tätigkeit deutscher Sondergerichte im annektierten Polen in vergleichender Betrachtung“ an. In den Vergleich bezog er für das Gebiet des „Altreichs“ die Sondergerichte Bielefeld, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main und für die annektierten Ostgebiete Litzmannstadt (Lodz) und Bromberg ein.

Eingangs betonte Schlüter, dass die allgemeinen Strafkammern in Polen durch die Sondergerichte noch deutlich über das im „Altreich“ ohnehin übliche Maß hinaus fast vollständig verdrängt worden seien. Bei der Tätigkeit der deutschen Sondergerichte selbst ließen sich im Vergleich zum „Altreich“ einige interessante Unterschiede verzeichnen, deren Präsentation und Analyse Schlüter seinen Vortrag widmete. Unterschiede seien zunächst allgemein bei den Deliktsgruppen der abgeurteilten Verfahren festzustellen. Diese beruhten auf regionalen Besonderheiten, den Bedingungen einer Besatzungsjustiz und einer strafgesetzlichen Sonderbehandlung der polnischen Bevölkerung. So seien im Gegensatz zum „Altreich“ im annektierten Polen kaum Plünderungsverfahren durchgeführt worden. Dafür habe es aber zahlreiche andere Verfahren gegeben, die nur dort verhandelt wurden. Dies betreffe insbesondere Verstöße gegen das nur für Polen geltende Waffenrecht, die „Septemberdelikts-Rechtsprechung“ und die Heimtückerechtsprechung wegen deutschfeindlicher Äußerungen von Polen.

Auch bei der Zahl der verhängten Todesurteile sei ein eklatanter Unterschied zwischen der Rechtsprechungspraxis im „Altreich“ und in den annektierten Ostgebieten 2 zu verzeichnen. Für die Sondergerichte Düsseldorf, Frankfurt und Bielefeld ergäbe sich jeweils eine Quote von weniger als 3 % der untersuchten Urteile, in denen die Todesstrafe als Sanktion anordnet wurde. Lediglich Essen rage im Westen auch ohne Berücksichtigung der teilweise vor dem Sondergericht Essen geführten so genannten „Nacht- und Nebelverfahren“ mit einer Quote von 6,4% heraus. Litzmannstadt liege dagegen mit vermutlich ca. 5% und Bromberg mit 21% verhängten Todesurteilen deutlich über den Vergleichszahlen für die westdeutschen Gerichte. Allerdings reduziere sich der Unterschied, wenn man vom gleichen Untersuchungszeitraum (1939-1945) ausgehe und diejenigen Verfahrensgruppen außer Betracht lasse, die es nur in den annektierten Gebieten geben konnte, so namentlich die Verfahrensgruppen der September- und Waffendelikte, die mit den schärfsten Sanktionen geahndet wurden. Abschließend wies der Referent darauf hin, dass in bemerkenswerter Weise auch die Quote der Freisprüche im „Altreich“ und den annektierten Ostgebieten vergleichbar seien.

III. Der strafrechtliche und personalpolitische Umgang mit den NS-Sonderrichtern in der Nachkriegszeit

Klaus Detlev Godau-Schüttke thematisierte in seinem Referat den personalpolitischen Umgang mit den NS-Sonderrichtern nach 1945. Schon der Titel seines Vortrags „Zwischen automatischem Arrest und Wiedereinstellung“ ließ erahnen, dass die Auswirkungen der NS-Vergangenheit auf die berufliche Laufbahn vielfältige Erscheinungsformen zeigen konnten. Obgleich gemäß der Anordnung des Alliierten Kontrollrates eine tief greifende Entnazifizierung des Justizpersonals vollzogen werden sollte, sei diese in der Realität kaum umgesetzt worden. Eigentlich hätte die gesamte Richterschaft – so die Forderung aus Paragraph 4 des Kontrollratsgesetzes – einer „Säuberung“ unterzogen werden müssen; dieses Ziel sei allerdings schon aus praktischen Gründen schwer erreichbar gewesen: Bei nahezu jedem Justizjuristen, der bis 1945 im Amt war, habe der Verdacht nahe gelegen, dass er in Beziehung zu den Nationalsozialisten gestanden habe. Bei einer konsequenten „Entnazifizierung“ wäre somit faktisch der gesamte Rechtspflegeapparat zumindest zeitweise zum Erliegen gekommen. Praktische Erwägungen führten häufig auch zur Wiedereinstellung von ehemaligen Richtern. Allerdings kann der wenig konsequente Umgang mit der NS-Vergangenheit schwerlich allein mit praktischen Erwägungen erklärt werden. Bedauerlicherweise habe dies auch dazu geführt, dass oftmals kaum Konsequenzen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit gezogen wurden.

Helmut Kramer widmete seinen Vortrag dem "Richter vor Gericht – Strafverfahren gegen NS-Sonderrichter nach 1945". Er begann chronologisch mit dem Nürnberger Juristenprozess 1947, in dem die amerikanischen Richter die Nürnberger Sonderrichter Oeschey und Rotaug verurteilten, aber den Vorsitzenden des Sondergerichts Stuttgart Cuhorst freisprachen. Danach beschrieb er an Hand von mehreren Beispielen die Strafverfolgung von NS-Sonderrichtern durch bundesdeutsche Gerichte. Dabei sei es in keinem Fall gelungen, die rechtskräftige Verurteilung eines Richters herbeizuführen. Die von Gerichten und Staatsanwaltschaften verwendeten Argumentationsmuster seien nicht selten bedenklich gewesen. Von großer Bedeutung sei in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewesen, der mit seiner Judikatur hohe Hürden für die Verurteilung wegen Rechtsbeugung errichtet habe.

Den Abschluss der Vorträge übernahm Ingo Müller mit dem Titel „Der Platz der NS- Sondergerichte in der deutschen Strafrechtsgeschichte- Statement und Zusammenfassung“. Dabei führte er die in den vorangegangenen Referaten aufgezeigten Einzelaspekte wieder zurück auf ein Gesamtbild der Sondergerichtsbarkeit wie es sich nach dem heutigen Forschungsstand darbietet. Sein Beitrag leitete dann unmittelbar in eine angeregte Diskussion mit Referenten und Teilnehmern über.

Fazit und Aktualität

Wenn man Ende des Symposiums die Vorträge, die Diskussionen und Aussagen überblickt, stellt man fest, dass hier keine divergierenden Einzelstudien, sondern ein möglichst umfassendes Bild präsentiert wurde, das jeder der Referenten durch seinen Vortrag und die übrigen Teilnehmer durch ihre Diskussionsbeiträge die bisherigen Forschungserkenntnisse um weitere Facetten mehrten. In der daran anschließenden Abschlussdebatte kam man überein, dass die Beschäftigung mit der Justizgeschichte des Dritten Reiches auch heute noch wichtig ist, um wachsam und kritisch gegenüber staatlichem Einfluss auf die Justizarbeit zu bleiben.

Neben den Vorträgen und Diskussionen wurde den aus den verschiedensten Teilen der Bundesrepublik angereisten Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, fachliche und persönliche Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Einigkeit bestand darin, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur wünschenswert, sondern notwendig ist, um Wirken und Wirkung der Sondergerichtlichen Rechtssprechungspraxis zu erfassen. In diesem Sinne ist das diesjährige Symposium als erfolgreicher erster Schritt in diese Richtung zu werten.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen durch seine Dokumentations- und Forschungsstelle seit 1993 eine Buchreihe mit dem Titel "Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen" herausgibt. Es ist beabsichtigt, die Tagungsbeiträge in der zweiten Jahreshälfte in dieser Reihe zu veröffentlichen.

Anmerkungen:
1 Zu vielen der etwa 90 bis heute bekannten Sondergerichte im Deutschen Reich sowie den annektierten und okkupierten Gebieten sind in den letzten 20 Jahren eine Fülle unterschiedlich angelegter Studien durchgeführt worden. Diese unterscheiden sich – je nach Quellenlage – hinsichtlich des Bearbeitungsniveaus und der Methodik teilweise erheblich. Forschungslücken machte Schlüter für das Gebiet der ehemaligen DDR – mit Ausnahme Sachsens –, die deutschen Ostgebiete und die annektierten Gebiete Österreichs und Osteuropas aus. Er wies aber auch auf derzeit laufende Vorhaben hin, so. z.B. das laufende Promotionsvorhaben der Unterzeichnerin zum Sondergericht Köln.
2 Davon zu unterscheiden sind die bisher fast gar nicht erforschten Sondergerichte bei den deutschen Obergerichten im so genannten Generalgouvernement Polen.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts